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Menschen auf dem Dach der Welt
Fotografien von Uwe Dürigen
Lichthof Altes Rathaus Pforzheim

Rede von Ulrich Erdmann anlässlich der Ausstellungseröffnung
Freitag, 12. Juli 2002

Mein sehr verehrten Damen und Herren!
Glauben Sie mir, es ist eine ausgesprochen dankbare Aufgabe, dem Aussteller hier und heute das Loblied zu singen, zumal dieser ein Freund ist und in künstlerischer Hinsicht ein ganz besonderer Fall ! -

- Einer, der vor Jahren eine alte Leica aus Familienbesitz geschenkt bekam und dessen Arbeiten mit diesem Apparat heute auf der Web-Site des Weltunternehmens angepriesen werden.

- Einer, der seine ursprüngliche Neugierde und das flüchtig-prickelnde Flair entlegener Fremde längst in die Formen anthropologischer Ernsthaftigkeit gegossen hat.


- Einer, der die weichen Polster im Salon der Talente wieder einmal verlassen hat, um auf den harten Bänken im Sitzungssaal der Kunstrichter Platz zu nehmen.
Denn, was wir hier wohlgerahmt vor weißer Wand betrachten können sind keine Fotos, es sind in einem ganz umfassenden Sinn des Wortes: Bilder.


Fotos oder Fottos, wie man es zuweilen etwas abschätzig aus dem Munde eines der Malerei ergebenen Museumswächters zu hören bekommt, solche Fotos nämlich kann ja heute wirklich jeder machen: das reicht vom Einwegapperat im neuesten Unfallset des ADAC über den drolligen Schnappschuß vom eigenen Haustier bis hin zur privaten Dokumentation bedeutender Familienfeste. Fotos eben, wie sie uns massenweise umgeben und zusammenfließen in der Flut optischer Reize, die uns jeden Tag aus Neue fortzuspülen droht.


Walter Benjamin schrieb eine allgemein um sich greifende Fotowut auch dem archaischen Jagdinstinkt im Menschen zu, wenn es in seiner "Kleinen Geschichte der Photographie" heißt:


>In der Tat ist der heimkehrende Amateur mit seiner Unzahl künstlerischer Originalaufnahmen nicht erfreulicher, als ein Jäger, der vom Anstand mit Massen von Wild zurückkommt, die nur für den Händler verwertbar sind. Und wirklich scheint der Tag vor der Tür zu stehen, da es mehr illustrierte Blätter als Wild-und Geflügelhandlungen geben wird. Soviel vom Knipsen !<

Recht hat er behalten! Und jener Tag ist längst Geschichte! - Soviel zum Knipsen !
Sprechen wir nun von Bildern !



> Fotografie< schreibt die schweizer Kunstwissenschaftlerin und Museumsleiterin Erika Billeter, > Fotografie macht uns mit einer Welt bekannt, über die wir keine Erfahrung haben < und sie schreibt weiter: > ...obwohl Fotografie möglicherweise das der Objektivität am nächsten kommende Medium ist, so ist es doch weit davon entfernt, objektiv zu sein <

Für Erika Billeter ist: > ein fotografisches Bild das Ergebnis eines gestalterischen Aktes, gebunden an den Menschen, der seinen Standpunkt eingenommen hat, um es aufzunehmen. <


Frau Billeters Definition ist uns ein erster, gleichwohl bedeutender Hinweis auf den Bild-Charakter der hier gezeigten über 100 Exponate. In jedem von ihnen tritt uns der Fotograf stets als Gestalter seiner ganz eigenen Perspektive entgegen. -


Uwe Dürigen fotografiert die Menschen nicht aus dem 'teleobjektiven' Hinterhalt, die Protagonisten seiner Bilder blicken meist ruhig und vertrauensvoll, manchmal erheitert zuweilen vielleicht etwas unsicher, aber immer im Einverständnis mit dem, der ihnen da mit seiner Kamera so nahe - aber eben nie zu nahe - kommt.


-- wie der buddhistische Mönch, der gelassen auf der Tempelschwelle sitzt und uns so unendlich gleichmütig anschaut --

-- oder jener, der im klösterlichen Gebet vertieft, ganz offenbar keinerlei Störung durch Fotograf und Kamera empfindet --

-- wie das offene Lächeln jener jungen Frau, die als ehemalige Kumari nun als Studentin vor der Kamera steht --

-- oder schließlich die gravitätisch anmutende Ruhe der alten Frau mit der Gebetsmühle --


Die fotografierten Menschen sind bei Uwe Dürigen nie in ihrer Intimität verletzt, weil mit dem Bild und in dem, was dem Bildmoment vorausgeht, eine neue, ganz eigene Intimät zwischen Fotograf und seinem Modell entstanden ist. Diese Art einfühlsamer Beziehung, die ein Fotograf zu den Menschen und Landschaften seiner Bilder herstellt, die ihm erst die sensible Wahrnehmung seiner Umgebung ermöglicht, beschreibt einen der wesentlichen Schritte vom Schnappschuß zum Bild.

((Bei alle dem hat Uwe Dürigen Glück. Er findet die Menschen auf dem Dach der Welt doch einigermaßen offen für seine Fotografie. Daß das in manchen Kulturkreisen durchaus anders sein kann, belegen beispielhaft die Aufzeichnungen von Juan Rulfo, der das indianische Lateinamerika bereiste und es in über 6000 Aufnahmen fotografisch zu dokumentieren suchte. Er mußte sich nicht selten mit den Rücken-Ansichten seiner Protagonisten zufrieden geben und war des öfteren auch gezwungen, unbeobachtet und heimlich zu fotografieren. Und das, obwohl er dort heimisch war.))

Und so darf ich zweifellos für Uwe Dürigen und seine Arbeit glaubhaft das in Anspruch nehmen, was einer der bekanntesten zeitgenössischen europäischen Fotografen, Giuseppe Merisio anläßlich seiner Ausstellung in Zürich im Jahre 1980 über seine Arbeit schrieb:

> Wenn ich Aufnahmen mache, versuche ich stets eine direkte Beziehung zu den Menschen herzustellen, die ich photographiere. Ich zeige mich als das, was ich bin, ohne mich zu tarnen und ohne die Photoapparate zu verstecken. Wenn ich dann akzeptiert bin und das Mißtrauen schwindet, beginne ich zu photographieren, und in jenem Augenblick identifiziere ich mich irgendwie mit den Menschen, die ich aufnehme.
Photographieren bedeutet für mich Sichtbarmachung einer engen und uralten Verbindung. Eine Art "Ehrfurcht", die den Photographen mit seinem Modell und seiner Umgebung verbindet. Folglich spielt es keine Rolle, ob ich den Bauer, den Gemeindediener, den Bürgermeister oder den Priester photographiere!
Ich versuche in jedem Fall dem Menschen in seiner ganzen und einzigartigen Persönlichkeit zu zeigen. <

Bei allen Portraits von Uwe Dürigen, die wir hier betrachten können, wird spürbar, daß diese Fotografien nur als Ergebnis einer Begegnung entstehen konnten, einer Begegnung, die geprägt ist durch den Respekt und durch den Wunsch für einen kurzen Moment selbst Teil dieser faszinierenden Fremde zu werden.
Ich sage ausdrücklich "spürbar" - weil jedes gelungene Bild über seinen optischen Wahrnehmungsgehalt hinaus auch Atmosphäre vermittelt, weil ein gelungenes Bild dem eingefangenen Moment seine jeweilige Geschichte nie gänzlich schuldig bleibt.

Und was die schöpferische Teilhabe betrifft, so rufe ich den Altmeister aller Klassen, Johann Wolfgang von Goethe, - wann je wird man um ihn herumkommen ?!? -
als Zeugen auf; hier drängt sich der Geheime Rat aus Weimar mit folgender Erkenntnis auf:

> Es gibt eine zarte Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst
identisch macht. <


Und doch birgt sie Gefahren, so eine 'zarte Empirie'; Gefahren, denen gerade der schöpferische Fotograf wie auch der beseelte Betrachter gleichermaßen ausgesetzt sind.

Der italienische Schriftsteller Danilo Dolci, der sich in seinen Büchern mit den sozialen Problemen des Mezzogiorno in der 60'er und 70'ger Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts auseinandersetzte, hat große literarische Anstrengungen unternommen, um einer pittoresken Verkleisterung der tatsächlichen dortigen Lebenswelt zu entgehen, um dann jedoch immer wieder resignierend feststellen zu müssen, daß


> für den gemütlich im Sessel sitzenden, in einer meilenweit entfernten, entfremdeten industriellen Welt lebenden Leser, die Gefahr des Pittoresken kaum zu bannen ist <


Ich denke, wir dürfen an dieser Stelle getrost den gemütlichen Sessel mit den angenehm gestalteten Galeriefluren vertauschen!

Und Uwe Dürigen zeigt uns eine fürwahr im doppelten Sinne 'entfernte Welt'. Geografisch gesprochen gehört eine Reise auf das Dach der Welt trotz aller flug- und verkehrtstechnischer Möglichkeiten auch heute noch zu den eher beschwerlichen Mobilitätsübungen und kulturell gesprochen, kann wohl nur eine geduldige und sehr behutsame Annäherung künstlerisch sinnvoll sein. Mehrheitlich gehört diese Region also nicht zu unserer Erlebnis- und Erfahrungswelt - und Ferne und Fremdheit tauchen sie uns in ein ganz besonderes, schillerndes Licht. Die Exotik des Unbekannten wird so nicht selten zur Politur der Oberfläche, deren vermeintlich unbeschwerte Farbigkeit wohl nur einer Tourismusagentur nützlich sein kann, nicht aber der fotografischen Dokumentation. Dem Fotografen nämlich vermag sie zuweilen den Augen-Blick zu verstellen, ihn blendet die Exotik nicht selten als Maske vor den Gesichtern, denen sein eigentliches bildnerisches Interesse gilt.

Uwe Dürigen ist sich dieser Gefahr bewußt und er setzt sich ihr besonnen aus ! Ohne im Geringsten auf die ästhetischen Reize, die ja in jedem exotischen Sujet liegen, zu verzichten, gelingt es ihm doch erstaunlich oft, den Vorhang der Exotik genau dort zu zerreißen, wo er zum flirrenden Verblendungszusammenhang zu werden droht.
Diese Bildintention unterstreicht Dürigen schon allein dadurch, daß er für die Exponate dieser Ausstellung ausschließlich Schwarz/Weiß-Fotografien ausgewählt hat. Denn neben der allgemeinen Focusierung durch die Schwarz/Weiß-Fotografie, nimmt Dürigen so seinen Sujets das vielfach gerade in seiner expressiven Farbenpracht kulminierende exotische Ornament.
Auch die Bildreihe aus dem Straßenbau dient hier einer Kontrastierung und redlichen Vervollständignug der ins Bild gesetzten sozialen Wirklichkeit.

Aber auch innerhalb seiner Bildkompositionen zeigt sich Uwe Dürigen einer fotografischen Form der Wahrhaftigkeit verpflichtet.
In diesem Kontext von ganz besonderer Anschaulichkeit ist ein Bild aus der Strecke über die kleine Kumari :
Es zeigt das Kind in nahezu überladen prächtigem Gewand auf einem thronähnlichen Sitz. Ein Priester hat sich zu ihr vorgebeugt und salbt ihr die Stirn. Vor ihr sind kleine Lichter angezündet und der Raum ist erfüllt vom - ich unterstelle - wohlriechenden Duft diverser Räucherstäbchen. Soweit in groben Zügen die Beschreibung eines assoziativ als 'weihevoll' empfundenen Bildmomentes. Das in sich schlüssige - oder besser gesagt - geschlossene Bildmotiv wird kompositorisch jä gebrochen durch eine Wanduhr - der Marke Junghans, wie man unwillkürlich vermuten möchte - ein Uhr also von, gelinde gesagt, recht unaufwändiger industrieller Fertigung. Diese Uhr wirkt wie ein Riß im Bild, ein Riß der kulturellen Abgeschiedenheit, die es auch auf dem Dach der Welt wohl nicht mehr gibt.
Es wär für jeden Fotografen an dieser Stelle ein Leichtes gewesen, durch einen winzigen Perspektivenwechsel, dieses 'chronometrische' Massenprodukt auszublenden, bildnerisch eine solch kulturelle Koexistenz zu unterbinden. Diesem rein ästhetischen Impuls gefolgt, wäre das Bild als Dokument unwahr geworden, hätte es die vorgefundene Wirklichkeit einer ersehnten Vorstellung geopfert. Allerdings schafft es Dürigen auf seinem Bild, dieser Wanduhr etwas ganz und gar Beiläufiges, Unwesentliches zu geben, etwas, was an der Ernsthaftigkeit des zeremionellen Momentes nicht zu rütteln vermag. Dürigen verwehrt sich bewußt einer ironischen Brechung und zieht somit nichts ins Lächerliche !

Mit einer Portion Ironie, einem fotografischen Augenzwinkern, haben wir es dagegen zweifellos bei einem Bild aus der Fotostrecke um die 'Asketen' zu tun.

Hier, an einem - wir würden vielleicht sagen - Kiosk zeigt sich die kulturelle Koexistenz, die aufgehobene kulturelle Abgeschiedenheit in einem drastischen ästhetischen Durcheinander. Da hängen Bilder verschiedener Gottheiten und darunter ein Pin-Up Kalender mit lächelnder Schönheit und im Zentrum das Poster eines wonnig dicken Babys, das alles vom Ladenbesitzer nicht gerade geschmachsicher aber doch immerhin recht abwechselungsreich zusammengestellt.
In seiner ironischen Intention und seinem eher verschmitzten Aufnahmemodus, bleibt dieses Bild allerdings eine Ausnahme - Denn für die übergroße Mehrzahl der hier gezeigten Bilder trifft eine Feststellung zu, die Walter Benjamin ebenfalls in seiner eingangs bereits zitierten 'Kleinen Geschichte der Photographie' so bedeutungsschwer trifft:

> Der Verzicht auf den Menschen ist für die Photographie der unvollziehbarste <


Ein solcher Verzicht ist ganz offenbar auch für Uwe Dürigen nicht vollziehbar.


Wer die Bildreihe über die Asketen eingehend betrachtet, sieht und spürt, was Benjamin mit seinem Postulat gemeint haben muß. Bei keinem dieser Bilder laufen wir Gefahr über die seltsame Gesichtsbemalungen, über eine absonderliche Haartracht oder auch über eine erstaunliche körperliche Übung den jeweiligen Menschen zu übersehen.

Deshalb gilt Dürigens fotografischer Blick in all der Fremdheit und Exotik und bei all den schier unermeßlichen Eindrücken immer wieder auch dem ganz und gar Unspektkulären, dem Einfachen und eben dadurch Beeindruckenden.
Wie etwa das Bild von dem alten - wenn nicht uralten - Mann, der ganz ohne Aufhebens in die Kamera schaut und uns mit seinen Augen eine Geschichte erzählt, weil ihm die Biografie seines langen Lebens tief ins Gesicht gezeichnet ist.

Bilder wie die hier gezeigten kann wohl nur machen, wer die Menschen mag, mit denen er durch die vorgehaltene Kamera einen winzigkleinen Lebensaugenblick teilt. Einen unwiederbringlichen Augenblick, einzigartig und so nie wieder herstellbar. Keines dieser Bilder von den Menschen auf dem Dach der Welt wäre ernsthaft anders vorstellbar, als wie wir es hier zu sehen bekommen.


Gegen Ende seiner 'Kleinen Photographiegeschichte' - von der wir nun schon längst bemerkt haben, daß sie eine kleine Geschichte voller großer Gedanken ist - stellt Walter Benjamin fest.

< Und unverkennbar unterscheidet sich das Abbild, wie illustrierte Zeitung und Wochenschau es in Bereitschaft halten, vom Bilde. Einmaligkeit und Dauer sind in diesem so eng verschränkt wie Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit in jenem. <


Alle Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit, wie wir sie eben noch als endgültigen Triumph des Bildes über das Geknipse feiern konnten, trägt auf seinem Rücken die zuweilen melancholische Last der Vergänglichkeit. "Unwiederholbar" heißt in seinem tieferen Sinne auch "vergangen",
und alles, was wir hier fein säuberlich gerahmt bewundern, ist doch so auf dem Dach der Welt nicht mehr zu finden.


> Jede Fotografie ist eine Art memento Mori.< schreibt die amerikanische Schrifstellerin und Essayiytin Susan Sontag und fährt fort:
> Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen und Dinge.
Eben darum, daß sie diesen einen Moment herausgreifen und
erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche
Verfließen der Zeit. <

Viele Dachbewohner werden noch da sein - ich persönlich hoffe sehr, auch der Alte und die gravitätische Greisin mit der Gebetsmühle - und vielleicht wird es wieder Bilder von ihnen geben, andere Bilder von anderen Momenten; vielleicht kehren auch in diesem Sommer wieder einige jener Staßenarbeiter auf ihre Baustelle im Hochgebirge zurück - wir wissen es nicht,
aber wir haben hier einige ihre Bilder, mit denen wir an ihre Existenz erinnert werden.


Ein weitsichtiger Zeitgenosse hat einmal prophezeit:

> Nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige
wird der Analphabet der Zukunft sein <

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie es nicht so weit kommen und freuen Sie sich statt dessen an den Bildern von Uwe Dürigen! -


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !


u.e., 2002

 

 

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