Frankfurter Allgemeine Zeitung
04.
Dezember 2008
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Entrückt
am Ufer des Ganges
Wer an das reinigende Bad im Ganges denkt,
sieht unwillkürlich die sämige Tunke, in die während
des Pilgerfestes Kumbh Mela Millionen Gläubige ihre Wunden
tauchen. Vor ihnen badeten Asketen, deren Leib weiß war
vor dicker Paste aus Asche. Doch der Ganges kann auch anders.
Klar und kristallin entspringt seine Quelle in viertausendzweihundert
Meter Höhe, an der Grenze zu Nepal und Tibet. Auch dorthin
pilgern Hindus, insbesondere Asketen. Wer an Asketen denkt, mag
sich über makabre Kirmes amüsieren. Auf der Kumbh Mela
bestaunen Schaulustige Attraktionen wie Shamka Giri Baba, der
seit Jahren auf beiden Beinen steht, trotz ballonhaft aufgequollenen
Knien und Würmern in aufgeplatzten Füßen. Nach
vielen Maßstäben ist Verstümmelung ungesund. Doch
sie sind hier nicht maßgeblich. Innerer Gesundheit förderlich
etwa ist die Verbindung mit dem hinduistischen Gott Shiva. Sein
Haar siebte das Wasser, als sich die Himmelsperle und Flussgöttin
Ganga gen Erde ergoss und Ganges wurde. Asketen pilgern auf barem
Fuß bergan über Geröll und Gestein in hauchdünnem
Tuch in die Zonen der Minusgrade, hinein in karge Massive, wo
der Ganges eisig ist und rein. Und wo manche der Eremiten, die
hier überwintern, überleben. Aus diesen Regionen der
Berge und Frommen kommen die großen Bilder der fremden Welt
der Sadhus, der "schönen Menschen", deren Äußeres
verwahrlost ist und deren Inneres leuchtet. Unbeeindruckt von
Parametern, die für uns selbstverständlich sind, haben
sie sich versenkt in diese Parallelwelt, der nur ein Grobian die
Gleichberechtigung mit unserer Welt verwehrt. Staunenswert nahe
kamen Uwe Dürigen (Foto) und Katharina Kemper (Text) den
Sadhus. Sie folgen dem Flusslauf durch Gebirge und Städte,
betrachten Rituale und religiöses Treiben. Höhepunkte
sind die Bilder der Entrückung und Entzückung. Man sieht:
Die Asketen tragen keine Masken, sondern sind verwandelt. Wenn
Satanand Giri Baba in buntem Gepränge und ekstatischem Tanz
wie eine Flamme lodert, ahnt man, wie losgelöst er ist. Doch
erinnert er uns an Verschüttetes womöglich auch in uns,
an mystische Gärungen, die religiöse Systeme mit dem
Ackerpflug verständlicher Moral trockengelegt haben. Die
Sadhus knüpfen das Band zur Urzeit. Der Bildband macht es
sichtbar.
geko
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